1.1 Festlegung der Projektziele
Anders als zumindest ideell ergebnisoffene geisteswissenschaftliche Forschung müssen DSE von ihrem Endprodukt aus gedacht werden. Die Planung hat sich an einem Modell der fertigen Edition und deren Verwendungszwecken zu orientieren und vom angestrebten Ergebnis aus die notwendigen Workflow-Schritte zurückzugehen - freilich nicht, ohne dieses Ergebnis im Planungsprozess kontinuierlich anzupassen.
Wir skizzieren im Folgenden Fragen und Herausforderungen, die ein Projekt in der Planungsphase für sich im Sinne einer Requirement-Prüfung klären sollte. Die provisorischen Antworten können mithilfe der weiteren Kapitel dieses Handbuchs in der Planungsphase konkretisiert werden.
1. Ausgangslage: Projektrahmen und Ressourcen
Bevor eine Detailplanung des Endproduktes beginnen kann, sollten folgende Faktoren evaluiert werden:
- Beschaffenheit und Quantität der zu edierenden Medien (siehe Textkonstitution)
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Teamgröße und -fähigkeiten
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Projektdauer
Inwiefern diese Faktoren anpassbar sind, hängt von der institutionellen und finanziellen Ausgangslage ab, insbesondere möglicher Fördermittel. Im Falle der Schweiz ist Stand Sommer 2024 z.B. eine öffentliche Förderung von größeren DSE nur im Rahmen eines 4-jährigen Projektantrags beim Schweizer Nationalfonds möglich.Dies dient freilich nur zur Illustration; Fördermittel-Situationen können sich bekanntlich schnell ändern und bedürfen genauer Abklärungen.
2. Zusammenspiel der technischen Komponenten
Ein technischer Grundsatz von DSE ist die modulare Logik, den Betrieb und die Sicherung der verschiedenen DSE-Bestandteile voneinander unabhängig zu gestalten. Insbesondere Bilddaten, Editions-Datenbank (TEI/XML-Daten) und Editions-Frontend sollten voneinander getrennt gehalten werden, so dass sie bei Bedarf anderen Institutionen übergeben oder mit neuen technischen Lösungen ersetzt oder ergänzt werden können.
Bevor Tools und Plattformen festgelegt werden, sollten sich DSE-Projekte Gedanken über das Zusammenspiel der technischen Komponenten machen.
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Gibt es eine technische Leitung, die sich mit allen Komponenten auskennt?
- Falls nicht, wie wird das Zusammenspiel koordiniert?
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Werden alle verfügbaren technischen Komponenten wirklich benötigt?
- Kleine Projekte können z.B. auf Metadaten-Datenbanken verzichten und ihre Metadaten in Excel- bzw. CSV-Files kuratieren.
3. Publikationsformen
- Muss am Schluss eine möglichst einfach zu wartende digitale Publikation der Oberfläche vorliegen (siehe statische Präsentation)?
- Werden physische Prints vorgesehen, die auf einer Lesefassung aufbauen?
- Ist das Frontend eine Zwischenstufe, die nach einer bestimmten Zeit von andere Publikationsformen abgelöst werden soll (etwa auf einer größeren Plattform) ?
4. Verschiedene Formen der Daten-Nutzung
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Wie sollen die Daten der Edition genutzt werden können?
- Zur qualitativen Analyse (z.B. historische Quellenauswertung, philologische textgenetische oder hermeneutische Methoden)? Dann lohnt es sich einen Schwerpunkt auf die digitale Präsentation zu legen und die Texte auf dem interface human-readble zu gestalten, d.h. (auch) für menschliche Nutzung aufzubereiten. Hierbei ist insbesondere größtmögliche Barrierefreiheit anzustreben.
- Zur quantitativen Analyse (z.B. korpuslinguistische Analysen, philologische distant-readings, statistische Fragestellungen)? Dann steht (auch) die Langzeitsicherung in Datenbanken im Vordergrund. Sie macht die Daten via technischer Schnittstellen, sogenannter APIs, (auch) machine-readable, d.h. die Daten werden durch Programme und Tools automatisiert lesbar. -> Beide Optionen schließen sich freilich nicht aus, ein Projekt kann sowohl qualitative und quantitative Nutzungsszenarien ermöglichen; in vielen Fällen empfiehlt es sich sogar, beide Nutzungsszenarien zu ermöglichen.
5. Wo lohnen sich für das Projekt Automatisierungen?
Repetitive Arbeiten sind für Automatisierung prädestiniert, aber nicht jede repetitive Arbeit lohnt sich zu automatisieren (konkret: was dauert länger: das Anpassen/neu Schreiben eines python scripts oder die repetitive Arbeit einer wissenschaftlichen Hilfsassistenz?). Entsprechendes technisches Wissen muss für das Projekt angeworben werden.